Finanzmathematiker über fehlende Transparenz bei Währungsbenchmarks und Anreize zum Betrug
Finanzmärkte kommen ohne Fixings von Währungen kaum aus. Doch deren Berechnung ist oft intransparent und birgt für die beteiligen Banken einen Anreiz zum Betrug. Das sagt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung der Finanzmathematiker Uwe Wystup, Gründer und Geschäftsführer des Frankfurter Beratungsunternehmens Mathfinance.
Von Stefan Schaaf, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 6.4.2017
Viele Finanzprodukte und Verträge sind auf Währungsfixings angewiesen, bei denen ein Kurs zu einem fixen Zeitpunkt festgehalten wird. Doch dessen Berechnung ist selten transparent und häufig Gegenstand von Manipulationen. Das sagt im Gespräch mit der Börsen-Zeitung Uwe Wystup, Gründer und Geschäftsführer des Frankfurter Beratungsunternehmens MathFinance. „Alle Fixings sind in einer gewissen Weise manipuliert, und das ist auch der Grund, warum sie eingeführt wurden“, erklärt der Professor an der Universität Antwerpen und Honorarprofessor an der Frankfurt School. Doch ohne illegale Eingriffe besteht das Problem, dass verschiedene Fixings nebeneinander existieren, diese auf unterschiedliche Art und Weise zu divergierenden Zeitpunkten berechnet werden – und damit deren Werte voneinander abweichen.
Im Nachgang der Finanzkrise waren neben der Manipulation von Zinsfixings wie dem Libor und Edelmetallpreisen auch Eingriffe von Marktakteuren bei der Festsetzung von Referenzkursen für Währungen bekannt – und inzwischen bestraft – worden. Die unterschiedlichen Fixings haben Relevanz etwa für die Berechnung des Wertes von Optionen, anderen strukturierten Finanzprodukten mit Währungsanteil sowie viele Verträge, wenn diese eine Währungskomponente enthalten. Diese Kontrakte enthalten meist eine Klausel, nach welchem Fixing die beiden Seiten Währungskomponenten miteinander abrechnen. „Institutionelle brauchen ein Fixing“, betont Wystup. Oft markiert ein Fixing das Ende einer Handelssitzung oder den Beginn eines neuen Handelstages.
Dies gilt beispielsweise für das 3-Uhr-Nachmittagsfixing („Cut-off“) in Tokio (lokaler Zeit), welches den europäischen Handel offiziell eröffnet. „Typischerweise ist der Cut-off der Zeitpunkt, an dem der Halter einer Währungsoption diese ausüben kann“, erläutert Wystup. Auch für bestimmte Fonds oder Zertifikate haben die Währungsfixings große Relevanz. Sie dienen beispielsweise der Berechnung des Barausgleichs, wenn ein Finanzinstrument diese Möglichkeit vorsieht. „Hängt das Auszahlungsprofil eines Derivats mit Barwertausgleich vom Wechselkurs ab, so benötigt man ein Fixing“, sagt der Finanzmathematiker. Doch darin liegt auch das Problem, denn es bestehen Anreize zur Manipulation. Eine Möglichkeit sei Frontrunning, bei dem eine Bank das Wissen um die Aufträge ihrer Kunden nutzt und zu ihren eigenen Gunsten eine Gegenposition eingeht. Frontrunning ist in Deutschland allerdings im Wertpapierhandelsgesetz verboten.
Uwe Wystup
Enge Spreads im Kassahandel
Die Anreize zur Manipulation sind Wystups Erfahrung zufolge auch deshalb gestiegen, weil für die Kassahändler mit Währungen wegen enger Spreads kaum etwas zu verdienen ist. Hinzu kommt, dass der Währungsmarkt von wenigen Häusern dominiert wird; auf die vier größten Häuser entfällt rund die Hälfte des Handelsvolumens. „Eine Bank kann allein die Kurse zwar nicht manipulieren, und die Manipulation ist wegen härterer Gesetze schwieriger geworden“, sagt Wystup. „Aber der elektronische Handel macht es zugleich viel einfacher, auf einen exakten Zeitpunkt hin zu handeln.“
Allerdings ist es auch wegen einer Initiative des Weltverbands der Wertpapieraufsichten IOSCO schwieriger geworden, Währungskurse intransparent zu fixen. Der globale Standardsetzer hat im Jahr 2013 seine Prinzipien für finanzielle Benchmarks veröffentlicht, um übergeordnete regulatorische Rahmenbedingungen für die an den globalen Finanzmärkten verwendeten Benchmarks wie Währungsfixings zu schaffen. „Die weltweit geltenden Richtlinien betreffen schwerpunktmäßig Governance-Verfahren und die Rechenschaftspflichten von Indexanbietern und anderen relevanten Akteuren“, erläutert die Deutsche Börse. „Dadurch soll die Verlässlichkeit von Referenzindizes auf globaler Ebene verbessert und so ein einheitlicher Standard sichergestellt werden.“ Der Finanzstabilitätsrat (FSB) stellte im Oktober 2015 in einem Fortschrittsbericht fest: „Eines der Hauptziele der Empfehlungen für Währungsbenchmark-Marktteilnehmer war es, die Anreize und die Möglichkeit für ein unangemessenes Verhalten von Marktteilnehmern rund um das Fixing zu verringern.“ Allerdings bleibe noch einiges zu tun, hieß es in dem FSB-Bericht. Regulierer und Teilnehmer am Währungsmarkt sollten auch auf die Erzielung eines solchen Ergebnisses fokussiert bleiben.
Ein grundsätzlicher Interessenkonflikt existiert Wystup zufolge aber weiterhin. „Ein Interessenkonflikt besteht darin, dass zum einen die Hausbank dem Kunden einen bestmöglichen Devisenkurs – also einen fairen Marktkurs plus Marge – bieten soll, zum anderen aber selbst Devisen handelt und daran verdienen möchte“. Kenne der Devisenhändler die für den Fixingzeitpunkt ausstehenden Kundengeschäfte und vielleicht sogar die von Kunden anderer Banken und gehe daraus etwa hervor, dass an einem Tag Dollar mehrheitlich gegen Euro verkauft werden soll, dann sei es im Interesse des Händlers, die Euro im Vorfeld günstig zu kaufen und den Euro-Dollar- Kurs zum Fixingzeitpunkt hochzutreiben. Die Folge: Der Kunde werde zu einem deutlich höheren Kurs abgerechnet, als der Händler vorher Euro gekauft hat. Daher sei es dem Vertrieb verboten, die Kenntnis über die ausstehenden Kundenpositionen mit dem Handelstisch zu teilen.
Kritik am EZB-Fixing
Unter den bekannten Fixings findet das der Europäischen Zentralbank (EZB) viel Aufmerksamkeit – und stößt zugleich auf die stärkste Kritik. „Das EZB-Fixing wird zeitverzögert veröffentlicht, und es ist gar nicht klar, wie es zustande kommt“, sagt Wystup. „Meine Vermutung ist: Die EZB will gar nicht, dass ihr Fixing vom Markt verwendet wird.“ Die Notenbank hatte auf Kritik, sie liefere die Daten mit Verzögerung, mit einer noch späteren Veröffentlichung reagiert. Das EZB-Fixing wird von der Notenbank in Frankfurt nach eigenen Angaben täglich um 14.15 Uhr mitteleuropäischer Zeit berechnet, aber erst um 16 Uhr öffentlich zugänglich gemacht. „Kein Haus kann sich so ein langes Abwarten leisten, die Verwendbarkeit des EZB-Fixings ist sehr eingeschränkt und erfüllt auch nicht die Anforderungen der IOSCO.“ Für geeigneter gelten die Fixings der beiden Finanzdatenanbieter Thomson Reuters und Bloomberg, die laut Wystup auch IOSCO-konform sind. Im Detail bestehen dennoch Unterschiede, die auch zu Differenzen zwischen den beiden Referenzwerten führen. Das kann bei Optionen aufgrund bestimmter Ausübungspreise (Strike) gravierende Konsequenzen haben – wer nämlich am Ende an einem Derivat verdient. Unterschiede bei den Datenquellen und deren Verarbeitung können ebenfalls zu unterschiedlichen Referenzwerten in den beiden Fixings führen.